Achtung, jetzt wird’s politisch!

von | Musik

Reden wir รผber Feminismus

Das 15. internationale Literaturfestival Berlin ist Geschichte. Ich habe mir dieses Mal zwei Veranstaltungen aus dem Special „Zur Lage des Feminismus“ angehรถrt. Am 11. September hat Laurie Penny ihr Buch „Unsagbare Dinge: Sex, Lรผgen und Revolution“ vorgestellt. Ihr Soloauftritt war angekรผndigt als Gesprรคch รผber Begehren und Emanzipation, aber letztlich ging es weniger um Begehren im engeren Sinne als um eine ganze Reihe anderer wichtiger Fragen. Und am 13. September gab es dann eine explosive Diskussionsrunde, in der die Digital-Feministin Penny gemeinsam mit der wunderbar streitbaren ร„gypterin Mona Eltahawy („Warum hasst ihr uns so? Fรผr die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt„) und der Filmemacherin Josephine Decker (deren Filme „Butter on the Latch“ und „Thou Wast Mild and Lovely“ beide 2014 bei der Berlinale gezeigt wurden) auf der Bรผhne saรŸen.

Beide Abende haben mich nachhaltig beeindruckt und inspiriert, aber es war viel leichter sich Notizen zu machen, als Laurie Penny allein im Gesprรคch mit der gut informierten Moderatorin Frederike Kaltheuner ihre Version des modernen Feminismus darlegen durfte. Zunรคchst erzรคhlte sie, wie sie als Elfjรคhrige ein Buch von Germaine Greer im elterlichen Bรผcherregal entdeckte, das wie eine Offenbarung auf sie gewirkt hat (ich nehme an, das war „Der weibliche Eunuch“). Ihre Gedanken รผber das Verhรคltnis von Frauen und Mรคnnern trug Penny dann in die gerade erblรผhende Welt der Internet-Foren und Sozialen Netzwerke. Mein Lieblingszitat dazu: „Das Internet is dazu da, all die anderen Verrรผckten zu finden.“ Das kann ich fรผr mich persรถnlich so unterschreiben. Wenn man auch nur das geringste bisschen „anders“ ist, eine gefรผhlte AuรŸenseiterin, dann ist das Internet der Ort, an dem man seinen Clan der Gleichgesinnten finden kann. Der Ort, an dem man Akzeptanz und Verstรคndnis findet, an dem man lernt, dass man nicht alleine ist.

„Das Internet ist der Ort, an dem die Feministinnen das Spiel gewinnen.“

Aber Penny ging auch auf die Schattenseiten dieses wunderbaren virtuellen Ortes ein, denn das Internet ist natรผrlich gleichzeitig der Ort, an dem sexuelle Belรคstigung und Bedrohung ungeahnt drastische Formen annimmt, und zwar genau WEIL Frauen dort eine Stimme haben, sich vernetzen und verbรผnden, weil ihre Stimmen laut und deutlich in den unendlichen Online-Resonanzraum schallen. Deswegen ist dieser Gegenwind aus Sexismus und Vergewaltigungsfantasien so stark und so grausam. Im Internet gewinnen die Feministinnen, denn hier รคndern Frauen laufend und rapide die bestehende Kultur.

Penny stellt sich gegen den tief sitzenden Gedanken, dass eine Frau ihren Hunger niemals offen zeigen darf: Frauen sollen auf keinen Fall zuviel wollen, zuviel sein โ€“ ob es nun um Essen und Gewicht geht, oder um Sex und Macht (in ihrem Buch geht es z.B. ausfรผhrlich um Essstรถrungen, die vor allem unter jungen Frauen und Mรคdchen erschreckend weit verbreitet sind). In diesem Zusammenhang betont Penny auch, dass speziell Frauen ihr Geschlecht „spielen“ bzw. performen. Viele reale Frauen haben tief drinnen nur wenig mit dem gemein, was „wir“ nach wie vor fรผr „typisch weiblich“ halten (wobei ich denke, dass das ebenso fรผr Mรคnner und „Mรคnnlichkeit“ gilt). In diesem Diskurs geht es immer wieder um das Ungleichgewicht zwischen Konzepten, Klischees, Anforderungen und der Realitรคt.

Und das fรผhrt uns zu einem weiteren zentralen Aspekt: Ein Diskurs besteht aus Sprache, und auf die Frage aus dem Publikum, ob es denn wirklich noch immer notwendig sei, neue Wortformen zu finden und an der Sprache zu feilen, um den Feminismus voranzutreiben (Stichwort: ProfessX), antwortete Penny wie folgt: Wir kรถnnen nur das werden, was wir uns auch vorstellen kรถnnen. Und wir kรถnnen uns nur vorstellen, was wir artikulieren, also in Worte fassen kรถnnen. Daher: Ja, Sprache ist einer der Schauplรคtze, auf dem wir verkrustete Strukturen und Denkweisen aufbrechen kรถnnen und mรผssen. Die Sprache ist ein Medium, das sich stets wandelt und entwickelt, und wir kรถnnen Teil dieser Wandlung sein, indem wir anders รผber Geschlecht und Sexualitรคt sprechen.

Zuletzt halte ich Pennys Antikapitalismus fรผr erwรคhnenswert: Zum Beispiel nannte sie das Bedingungslose Grundeinkommen ein fundamental feministisches Projekt, weil es dazu beitrรคgt, den Wert der Arbeit neu zu denken und zu verhandeln. Frauen sind nach wie vor diejenigen, die den GroรŸteil der unbazahlten Arbeit machen โ€“ sei es Kindererziehung, Haushalt oder ganz grundsรคtzlich alles, was sich unter dem Begriff des „Sich-Kรผmmerns“ verhandeln lรคsst.

Der einzig dissonante Ton an diesem Abend war fรผr mich das Geschenk zum Abschluss: Penny und ihre Gesprรคchspartnerin bekamen beide eine rote Rose รผberreicht. Ein solches Klischee, eine Blume fรผr die Damen, die rote Rose als eins der Symbole fรผr die eine, gesellschaftlich sanktionierte Art der Liebe. Penny nennt diese heterosexuelle, monogame, auf Heirat und „Happily Ever After“ ausgerichtete Liebe „Love TM,“ die mit der Schutzmarke, die patentierte Variante, die sich prima vermarkten und bewerben lรคsst. Darรผber kรถnnte man ebenfalls endlos schreiben, aber kommen wir zu der roten Rose zurรผck: in meinen Augen fast ein Hohn, und bestenfalls unpassend in diesem Zusammenhang.

รœber wessen Hass reden wir?

Nach diesem inspirierenden Abend habe ich am Sonntag also auch die Diskussionsrunde zur Lage des Feminismus besucht. Und einen Tag spรคter einen befremdlichen Verriss in der Welt gelesen. Unwillkรผrlich drรคngte sich mir die Frage auf, ob der Autor dieses Artikels auf derselben Veranstaltung gewesen ist. Er spricht lang und breit vom „Mรคnnerhass“ der drei Feministinnen auf der Bรผhne. Nun, die Frauen haben „die Mรคnner“ als Ganzes kristisiert, und spezifischer die „Mubaraks in den Regierungen, die Mubaraks auf der StraรŸe, und die Mubaraks in unseren Schlafzimmern,“ wie Mona Eltahawy die Unterdrรผcker und ihre Sphรคren genannt hat. Eine eindrรผckliche, bedrรผckende Formulierung, sicher in vielen Lรคndern und Kontexten nur allzu wahr, aber dennoch keine Hasstirade. Ich konnte in den Aussagen der drei Frauen รผberhaupt keinen Hass entdecken, und das TROTZ der Tatsache, dass ihnen immer wieder der blanke Hass der Mรคnner entgegenschlรคgt. Wenn eine Frau sagt, dass die Mรคnner sie anders behandeln sollen, wenn sie fordert, dass jeder Mann seine Einstellung und sein Handeln kritisch รผberdenken soll, dann ist das kein Hass. Wenn diese Frau aber fรผr ihre offenen Worte detailliert ausgeschmรผckte Vergewaltigungs- und Morddrohungen auf Twitter bekommt, und das an jedem einzelnen Tag, dann ist das sehr wohl Hass. Fraglos und eindeutig. Also, lieber Herr Kรผveler von der Welt, nehmen Sie sich doch bitte ein paar Minuten Zeit, den Artikel ihres Kollegen von der Berliner Zeitung zu lesen, der die gleiche Veranstaltung mit ein wenig mehr Offenheit und gesundem Menschenverstand beschreibt, und dann denken Sie nochmal darรผber nach, um wessen Hass es hier eigentlich geht.

Und was war nun Gegenstand dieser Diskussion?

Drei mutige Frauen sprachen รผber Feminismus, Frauen und Mรคnner, und das aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Dadurch war der Abend bereichernd, informativ und anregend. Die Moderatorin Priya Basil hat die Thesen der Gesprรคchspartnerinnen gekonnt und griffig zusammengefasst, und auch ihre Fragen waren stets durchdacht und auf den Punkt, so dass die Diskussion immer am Laufen blieb. Die Mischung aus berechtigter Wut, trotzigem Humor und, vor allem in Deckers Fall, ergebnisoffenem Nachdenken รผber sehr komplexe Fragen bot ein Abbild dessen, was es heute bedeuten kann, Feministin zu sein. Es gibt nicht die eine, plakative Version, wie sie frรผher als lila Latzhose tragende Emanze dargestellt wurde; das hat sich lรคngst รผberholt. Heute gibt es ein buntes, vielfรคltiges Spektrum, laut und leiser, homo und hetero, kriegerisch und versรถnhlich. Der Feminismus lebt, und das muss er auch, z.B. angesichts der Zustรคnde, wie Eltahawy sie etwa fรผr die arabisch-islamische Welt beschreibt. Es geht nach wie vor um gleiche Rechte, gleiche Bezahlung, aber auch um so Grundlegendes wie die gleichen Mรถglichkeiten, frei und ohne Angst das Wort zu ergreifen.

Und in einem sehr gut besuchten Raum, der nicht umsonst GroรŸer Saal heiรŸt, entstanden schlieรŸlich berรผhrende, zerbrechliche, ins Mark treffende Momente der Intimitรคt, als Decker den Mut und die Ehrlichkeit besaรŸ, รผber ihre eigene Erfahrung mit Missbrauch (Vergewaltigung?) zu sprechen โ€“ und das vollkommen ohne Hass, sondern mit einem รผberaus scharfen Sinn fรผr die Grauzonen, die Komplexitรคt des Geschlechterverhรคltnisses. Ich habe den allergrรถรŸten Respekt fรผr diesen Schritt, das Gesprรคch mit einem Mal so schmerzhaft persรถnlich zu machen, und damit sicher mindestens jedes weibliche Wesen im Publikum dazu zu bringen, sich mit ihren eigenen dunklen, allzumenschlichen Momenten auseinanderzusetzen. Es war ein kleiner Triumph der Schwesternschaft, der Solidaritรคt, die man spรผrt, nicht programmatisch ausrufen muss. An diesem Abend standen mir mehrfach die Trรคnen in den Augen. Nicht nur aus Mitgefรผhl, auch aus Traurigkeit, Zorn, Verwirrung und Entschlossenheit.

Und jetzt das Buch

Nach diesen beiden Veranstaltungen habe ich mir Pennys Buch „Unsagbare Dinge“ als E-Book auf den Kindle geladen (im englischen Original) und ein paar Abende damit verbracht. Als erstes: Ich mag ihren Schreibstil, weil er authentisch und direkt ist, und manchmal sogar poetisch wird. Ihre Darstellung der Situation von Mรคdchen und Frauen, Jungs und Mรคnnern in der krisengeschรผttelten Gegenwart, ihre Kapitel รผber Cyber-Sexismus, รผberhaupt die Sexualitรคt im digitalen Zeitalter, all das ist abwechselnd deprimierend und aufrรผttelnd. Und auch die Hoffnung kommt nicht zu kurz, trotz aller Katastrophen und Irrwege, die sie beschreibt. Penny sieht eine Revolution in unserer Zukunft, und sie hat bereits begonnen! Sie ist eine Chronistin der Generation der heute 20- bis 30-jรคhrigen, der „Digital Natives,“ fรผr die das Internet von Kleinauf auch ein Zuhause war und ist. Diese Generation steckt bereits mitten in der neuen Art der Revolte, mit Occupy und Snowden, den Piraten und Meingrundeinkommen.de. Da geht noch was!

Ich fรผr meinen Teil werde dieses Buch in der deutschen Fassung meiner Tochter schenken, die gerade mal volljรคhrig ist. Jede Generation muss ihre eigenen Schlachten schlagen, aber ich will nicht, dass jede wieder von vorn anfangen muss. Informationen und Argumente, Stoff zum Nachdenken und Neu-denken kann man ihnen an die Hand geben. Ich wรผnsche mir eine gleichberechtigtere und angstfreiere Welt fรผr meine Kinder. Ich wรผnsche mir sie fรผr uns alle, Mรคnner und Frauen.

Aber ernsthaft, was soll das mit den roten Rosen?

Artikel von Claudia Rapp, Autorin von „Summer Symphony

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