Die Bullshit – Dolmetscherin: Eine Rezension

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Neues Jahr, neue Buchempfehlungen. Heute ein sehr cleverer Roman, der ganz leger daherkommt im kühlen, abgeklärten O-Ton der Ich-Erzählerin, die einen besonderen Beruf ausübt. Sie ist, genau wie der Titel des Buches, Die Bullshit-Dolmetscherin.
Was das ist?
Hier wird nicht aus anderen Sprachen übersetzt, sondern das aufgeblasene, unehrliche, blendende und inhaltsleere Gewäsch, hinter dem sich oft die unbequemen, peinlichen, gefährlichen Wahrheiten verbergen, wird in Klartext ausgedrückt. Eine Bullshit-Dolmetscherin sagt ihren Mandanten also, was das Gegenüber wirklich meint. Dazu muss man neutral, distanziert, aufmerksam und vielleicht auch „leidenschaftslos“ sein. Ein Wort, das im Buch mehrfach auftaucht und an Gewicht gewinnt…
Wieso lesen?
Mir gefällt das Lapidare, Lakonische der Erzählweise. Mir gefallen auch die Charaktere, die allesamt mehr und mehr zum Leben erwachen, je weiter man sich ins Buch vorwagt. Sie wirken wie echte Menschen mit Schwächen, Blindheiten, Kaffeedurst und Kater, Sex und Eifersucht. Zum Beispiel Amanda/Alexandra, die Hauptfigur. Ich erkenne mich in ihr in weiten Teilen wieder, was echt selten passiert mit Buchfiguren. Unabhängig bis zur „Leidenschaftslosigkeit“, ein bisschen besserwisserisch, gern unterschätzt, und dann doch angreifbar, wenn es um die paar Dinge in ihrem Leben geht, die sie gerührt, verletzt, aus der Bahn geworfen haben. Außerdem ist sie auf wunderbar lapidare Art promiskuitiv, und das ist keiner besonderen Erwähnung wert, denn der moralische Zeigefinger scheint ziemlich ausgedient zu haben. Den heben nur noch die Revenisten, eine konservative Splittergruppe der reformierten (Version 2.0) katholischen Kirche, die den Zölibat aufgehoben hat. Dennoch (oder gerade darum) spielt das Sexualleben der Ehefrau des Wiener Erzbischofs eine zentrale Rolle in der Geschichte.
Walzer tanzen!
Philosophie, Religion, Politik, menschliche Gefühle in einem alternativen Wien, das gar nicht so weit von unserer Realität entfernt scheint – Man könnte sagen, all diese Themen tanzen mit- und gegeneinander Walzer in diesem Buch, auch wenn sich das Lokalkolorit und die österreichischen Spracheigenheiten (von denen ich ehrlich gesagt, ein großer Fan bin! Schmäh!) im Zaum und in Grenzen halten. Fast schade, denn mit Wiener Akzent wäre das Ganze sicher noch amüsanter und treffender… Ich bin für ein Audiobook!

Unbedingte Leseempfehlung.
Susanne Strnadl: Die Bullshit-Dolmetscherin. Seifert Verlag, Wien 2015. Oder auf amazon.

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