Raus aus der Stille: Tua am 12.09. im Bi Nuu

von | indieBerlin

Johannes Bruhns, a.k.a. Tua – Rapper, Sänger, Produzent, Instrumentalist – ist zurzeit eine der interessantesten Erscheinungen im deutschen Hip Hop – und eine der zu Unrecht am wenigsten beachteten. Man kennt den 30-jährigen als Beatbastler, von Features nicht zuletzt mit Samy Deluxe und als ein Viertel der Hip-Hop-Boygroup/-Punk-Band Die Orsons, mit denen er bereits vier Alben herausgebracht hat.
Seit 2005 hat er auf verschiedenen Labels auch als Solo-Künstler veröffentlicht. Ein großer finanzieller Erfolg ist ihm bisher verwehrt geblieben und trotz steigendem Bekanntheitsgrad blieb der hochgewachsene Reutlinger über die Jahre doch immer eher ein Geheimtipp. Der Perfektionist hielt den Moment bis heute nicht reif für eine eigene Solo-Tour. Wenn man ihn jetzt erlebt, versteht man, worauf er hingearbeitet hat.

Eingrooven

Es ist ein herrlich warmer Spätsommertag, kurz vor 20 Uhr. Das Bi Nuu direkt unterm U-Bahnhof Schlesiches Tor füllt sich mit Zuschauern, das Konzert ist annähernd ausverkauft. Auf der Bühne sind bereits Keyboards, Effekt- und Samplemaschinen, E-Drums und ein Schlagzeug aufgebaut. Dazu ein DJ-Pult. Und an dieses tritt um 20:15 Uhr, in kühles hellblaues Licht getaucht, der DJ Audhentik, der den Part der Vorband übernimmt. Bässe, die sich wie Druckwellen durch den Raum ausbreiten und dunkle, manchmal aggressive Beats, die einen Unterdruck in der Brust entstehen zu lassen scheinen. Die Musik ist düster-atmösphärisch, mehr zum Zuhören denn zum Tanzen geeignet. Audhentiks 40-minütiges Set wirkt leider ein wenig lang – aber nur, weil wir ja nicht zum Clubben, sondern für ein Konzert hier sind. Trotzdem eine gute Einstimmung.

Im Zentrum der Musik

Nach etwa 15 Minuten Umbaupause erlischt dann das Licht für den Mann des Abends. Ein bestgelaunter Tua kommt mit seiner Band praktisch auf die Bühne gerannt, schenkt uns einen zackigen Militärgruß à la „Melde mich zurück!“, setzt sich dann hinter sein Keyboard und beginnt gleich mit dem ersten Stück „Grau“. Der Sound ist wunderbar klar. Beim Rappen schließt Tua die Augen und hält mit beiden Händen das Mikrophon fest. Es scheint ihn dabei manchmal kaum an seinem Platz zu halten, doch Rap-Star-mäßiges Herumschreiten auf der Bühne und High-Fives geben an die ersten Reihen versagt der nachdenkliche Künstler sich, da er eben gleichzeitig auch Teil, nein, Zentrum der Musik sein möchte und bei jedem Lied selbst Samples und Effekte bedient, sein eigenes Stimmecho programmiert usw. Beeindruckend, wie er dabei noch korrekt singen kann.

Soundtrack zur Jetztzeit

Es ist fast ironisch, dass Tua auf seiner ersten Tour praktisch ein Best Of seines Œu­v­res präsentiert. Vor Kurzem ist mit „Kosmos“ eine Sammelbox seiner bisherigen Alben und EPs erschienen. So führt uns der experimentierfreudige Musiker heute Abend durch verschiedene Jahre seines Schaffens, in verschiedene musikalische Richtungen, durch verschiedene Stationen seines Lebens. Und die meisten Lieder, die man sicherlich nicht aus dem Radio, sondern eher von Youtube kennt, werden vom Publikum frenetisch aufgenommen und abgefeiert wie alte Boom-Bap-Klassiker aus den 90ern. „Stille“, „Narziss“ und vor allem „Raus“ werden textsicher mitgesungen: „Sie heißt irgendwie und fragt ‚Und was geht sonst so?‘ / Ach, Digger, nich‘ so viel, ich geh‘ nur gerade K.O.“ Manchmal ist es unheimlich, wie nah Tuas Texte gehen können – Soundtrack zur Jetztzeit. Er besingt die grässliche Oberflächlichkeit der Menschen, das Gefühl des Verlorenseins in ihrer Mitte, Drogenerfahrungen, Depressionen; im wirklich markerschütternden „Ohne Titel“ wird gar ohne Rücksicht auf die eigene Person die Geschichte des Beschlusses einer Abtreibung geschildert.

Tua Bi Nuu Keyboard Konzert SängerTschüss deutscher Rap, Hallo Musik“

Musikalisch geht die Reise an oder über die Grenzen dessen, was man von klassischem Rap kennt. Es wird nicht einfach nur ein Beat angeschmissen; der organische, progressive, vielschichtige, wabernde Sound ist jeden Moment in den Händen der drei Musiker. Trockene oder düstere Beats, Geräuschsamples, Piano-Einlagen, Drum’n’Bass, Clubsounds und mehr vereinen sich zu einem stimmungsvollen Ganzen. Lieder aus einer Dekade werden live generalüberholt, auf einen gemeinsamen Standard gebracht. Das hält die doch teilweise sehr unterschiedlichen Stücke des Sets zusammen und erlaubt dem Künstler, gerade sein altes Material noch einmal teilweise umzuschreiben. Das wunderschöne „Keiner sonst“, bei dem auch eine Jazz-Gitarre zum Einsatz kommt, wirkt in der Live-Version zwar ein wenig abgespeckt. So ziemlich alle anderen Lieder profitieren aber von der Neu-Interpretation. „Folgt uns ’n bisschen“ sagt Tua an mehreren Stellen, bevor er mit seiner Band in Instrumental-Passagen abgleitet und dann in den nächsten Song übergeht. Und das Bi Nuu ist absolut mit ihm.

Das Konzert endet mit „Moment“, einer anrührenden Hymne auf die Vergänglichkeit mit nur einer Strophe und einer wunderbaren Melodie, die aus traurigem Anlass einem dieses Jahr verstorbenen Freund des Musikers gewidmet wird. Dann bedankt sich der doch immer wieder vom Schmerz Inspirierte noch einmal recht herzlich bei „Berlinchen“ und geht von der Bühne, ohne sich noch lange am Applaus zu laben. Es hat wahrscheinlich noch nie jemand eine so professionelle erste Tour gespielt. Dass wir auf die nächste bitte nicht wieder zehn Jahre warten müssen.

Hear the latest Moa McKay Single Heartbreak Billie
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