Rap-Künstler Lemur über sein neues Album „Die Rache der Tiere“

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Von 2007 bis 2013 bildeten Benny und Kraatz das Berliner Hip Hop Duo Herr von Grau, das mit seinem technisch versiertem, von Wortwitz sprühendem Rap viele Anhänger fand. Nach der Trennung arbeiten beide solo weiter, Benny unter dem Pseudonym „Lemur“. Am 27.01. erschien sein zweites Solo-Album „Die Rache der Tiere“.
Ich sprach mit Lemur an einem kalten, verschneematschten Donnerstagabend in einer gemütlichen Neuköllner Kneipe bei Tee über antwortverweigernde Politiker, Jugenddelikte, frühere Jobs und vieles mehr.

 

„Das Feedback ist viel besser, als ich erwartet hatte.“

indieberlin: Benny, dein zweites Solo-Album ist seit letztem Freitag draußen. Wie ist das Gefühl?

Lemur: Gut, sehr sehr gut. Ich krieg grad ’n Haufen unglaubliches Feedback. Es ist viel besser als ich erwartet hatte, weil ich ja schon nicht unbedingt Musik mach, die easy zu konsumieren ist, jedenfalls nicht ausschließlich. Trotzdem finden dazu viel mehr Leute viel schneller Zugang [als zu meinem ersten Album]. Bis jetzt sind die Reaktionen echt geil.

indieberlin: Ich schließ mich an, mir gefällt die Platte auch sehr gut.  Sie heißt ja „Die Rache der Tiere“. Warum?

Lemur: Es gibt einen Song auf dem Album, der so heißt und der auch erklärt, warum ich mich denn jetzt Lemur nenne. Diese Frage wurde mir so oft gestellt, dass ich mir dachte, ich mach jetzt mal ’n Song, der das ein für alle mal klärt. Und dann hab ich mir einfach ’ne dumme Geschichte ausgedacht, in der ich von Tieren verfolgt werde und mich am Ende in einen Lemuren verwandle.
Das war dann der Arbeitstitel für das Album. Und zu diesem Arbeitstitel hat mir dann mein Kumpel FairS den Layoutvorschlag mit dieser Lemuren-Collage gegeben und dann war klar: OK, wenn das Cover jetzt schon so aussieht, dann heißt es jetzt auch so.

indieberlin: Könnte man auch versuchen, darin eine Art Leitmotiv zu suchen?

Lemur: Nee, eigentlich nicht, das wäre zu gewagt. Ich schreib über alles, was mir einfällt, Sachen, die mir gefallen, die mich ankotzen oder die mich sonst irgendwie beschäftigen aber [es gibt jetzt kein] großes Leitmotiv „Rettet die Tiere“ oder so.

indieberlin: Welche Gäste hast du diesmal dabei?

Lemur: Marten McFly ist dabei, mein Kumpel FairS und dann die gute Nazz, das sind die Rap-Features. Nazz hat mir wiederum den Produzenten Phillip S. vorgestellt, mit dem ich dann den Beat für [den] gemeinsamen Song [von Nazz und mir] produziert habe. Und mein alter, sehr enger Freund Majusbeats ist auch beim Song „Sterben“ mit am Beat dabei. Der Rest war ich.

„Wenn ich noch einmal was von „strukturellem Antisemitismus“ höre, raste ich  ziemlich unstrukturiert aus!“

indieberlin: Du hast den Song „VIP-Lounge“ gemacht. Da geht es um die gezielte Desinformation, die Politiker so betreiben, also das gezielte Nicht-Kommunizieren.

Lemur: Und vor allem das Nicht-Antworten auf sehr berechtigte Fragen. Demokratie impliziert auch, dass Volksvertreter sich rechtfertigen für das, was sie da tun. Und das tun sie oft nicht.

indieberlin: Richtig. Aber glaubst du eigentlich, dass es funktionieren könnte? Dass Politiker mal mehr Klartext sprechen und vielleicht auch mal gestehen: Wir wissen es nicht?

Lemur Promo Photo von Sara ReuterLemur: Ehrlich gesagt weiß ich’s nicht. Auf jeden Fall wär schon viel geholfen, wenn man Volksvertreter ein Stück weit gläserner machen würde. Und es sollte ein totales Verbot geben, Sachen hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, die alle was angehen, sowas wie TTIP z.B. oder die Modernisierung von in Deutschland stationierten Atombomben. Da müsste man irgendwelche Verpflichtungen einführen.
Es gibt aber ja auch einen Medienschutzmechanismus, der [um solche Angelegenheiten] aufgebaut wurde und der verdammt gut funktioniert! Wer sich z.B. darüber aufregt, dass TTIP hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, der ist ruckzuck ein „struktureller Antisemit“. Wo ich mir denke: Alter, wenn ich noch einmal was von „strukturellem Antisemitismus“ höre, raste ich aber ziemlich unstrukturiert aus, was is’n das fürn Quatsch! Was hat denn bitte Kritik an Geheimniskrämerei mit Judenhass zu tun? Das ist so weit hergeholt, dass es weh tut.

„’Putin-Versteher‘ ist ein Schimpfwort. Da wird Sprache als Waffe benutzt.“

Lemur: Es wird einfach impliziert, wer sich über dies und jenes aufregt, sei Antisemit. Und das will man ja auf keinen Fall sein! Also hält man sich am besten von sowas fern. Diese Mechanismen funktionieren einfach sau gut. Einfach behaupten, A wäre B und das lange genug wiederholen. Wie bei Orwell: Krieg bedeutet Frieden, Freiheit ist Sklaverei usw. Das ist genau das, was gerade passiert, diese Umdeutung von Begriffen.
Was auch richtig lustig ist: „Putin-Versteher“. Da ist jemand, der die Politik eines Landes verstehen möchte, und man bezeichnet ihn mit einem Schimpfwort. Nicht, dass ich Putin irgendwie gut heißte, den halte ich für genau so’n großen Verbrecher wie so ziemlich jedes Oberhaupt einer der führenden Nationen der Welt. Nachweislicher Massenmörder, siehe Tschetschenien etc. Aber: was ist das denn für ’ne Vergiftung der Sprache?! Da wird Sprache als Waffe benutzt. Man nimmt sich die Hoheit über die Sprache und verändert sie, wie man grad Bock hat.

„Das war für mich das Jahr, in dem ich angefangen habe, komplett die Kontrolle zu verlieren.“

Lemur Pressefoto von Sara Reuterindieberlin: Neben dieser politischen hat dein neues Album auch eine ziemlich persönliche Seite. In „Wolfsburg“ geht es z.B. um deine Jugend in deiner Heimatstadt.

Lemur: Ja, da geht es tatsächlich um ein Jahr Jugend.

indieberlin: Du beschreibst also einen genauen Zeitraum und ein Gefühl, das du da hattest, so ein „Ich will raus“-Gefühl?

Lemur: Da hat das „Ich will raus“-Gefühl noch nicht so wirklich Überhand genommen. Da war ich eigentlich ziemlich im Hier und Jetzt. Das war für mich das Jahr, in dem ich angefangen habe, komplett die Kontrolle zu verlieren. Da ging’s mit Drogen los und… am Ende dieses Jahres blieb es nicht nur bei Graffiti sprühen, klauen und Prügeleien, sondern da bin ich richtig in die Kriminalität abgerutscht.
Dass ich da eigentlich raus wollte, hab ich erst ein Jahr später wirklich gecheckt. Und drei Jahre später bin ich dann wirklich weg. Ich bin jetzt seit 14, 15 Jahren in Berlin. Das war auch ’n bisschen Selbstschutz und es ist auch gut, dass ich das gemacht hab, sonst säße ich jetzt im Knast.

indieberlin: Zwei andere persönliche Songs sind einmal „Ballast“, wo es um ’ne beendete Beziehung geht, nach der du dich aber leichter und besser fühlst, und dann „Batterie“, wo es auch in die Richtung geht, aus seinen Niederlagen oder Rückschlägen neue Kraft zu ziehen.  Woher kommt gerade dieser Auftrieb für dich? Bist du gerade an ’nem guten Punkt in deinem Leben?

Lemur: Ja, es hat sich viel verändert, auf jeden Fall. Ich bin generell ’n entspannterer Mensch geworden. Ich hab einige Schicksalsschläge verarbeitet und… ich nehm weniger Drogen, was vielleicht auch nicht schlecht ist. Außerdem schließ ich mich nicht mehr ganz so exzessiv ein, um über meinem Kram zu brüten, wie ich das früher getan hab, sondern ich geh tatsächlich manchmal raus und sehe MEN-SCHEN – was ja total unterschätzt ist. Das kann was! (lacht) Und ich bin halt auch in meinem neuen Label-Umfeld total glücklich, hab ’n Haufen cooler Leute kennengelernt, mit denen ich jetzt auch sehr sehr dicke bin.

„Ich hab in meinem früheren Job Sachen erlebt für fünf.“

indieberlin: Wir müssen noch über Geld reden: über den Song „Geld“, mit dem das Album losgeht. Erzähl uns nochmal kurz, wie deine Beziehung zu Geld ist.

Lemur Promo Photo von Sara ReuterLemur: Naja, ich hab nie Kohle gehabt. Meine Familie hatte nix, ich hatte auch nie was. Ich kann mit Geld auch nicht umgehen. Wenn ich welches habe, gebe ich’s auch gern aus und lade auch gern Freunde ein. Dann ist es auch immer ganz schön schnell wieder weg (lacht).
Und ich hab mir jetzt so vor drei Jahren gesagt: Ich kann nur eine Sache so wirklich gut… Na gut, ich kann zwei Sachen wirklich gut: Musik machen und sehr schwere Sachen tragen aber ich wollte nicht den Rest meines Lebens sehr schwere Sachen tragen. Ich wollte, dass Musik mein Lebensinhalt wird. Und seitdem zieh ich das halt durch. Das ist natürlich auch manchmal ’ne harte Nummer. Aber es funktioniert. Knapp, aber es funktioniert.

indieberlin: Und vorher, zu Herr von Grau Zeiten, hattest du neben der Musik noch ’nen „richtigen“ Job?

Lemur: Ja, ich hab sau viel gemacht. Ich war z.B. Kaffeeröster und hab alles gemacht, was mas man im Technoclub machen kann, über 10 Jahre lang…

indieberlin: Du warst Bouncer?

Lemur: Naja, so ähnlich, ich hab die Leute rausgeschmissen, die fotografiert haben. War aber auch Runner und an der Garderobe und so weiter. Und ich war immer der Typ, der mit seinem Geld dann in den nächsten Club gegangen ist und es gleich wieder verballert hat. Ist nie was von übrig geblieben. Aber ich hab auf jeden Fall Sachen erlebt für fünf. Ich hab auch lange aufm Bau gearbeitet…Schleppjobs, alles mögliche. Hab auf jeden Fall ’n Haufen Scheiße gemacht aber auch viel dabei gelernt. Bin aber auch froh, dass ich momentan nicht anderes machen muss als Mucke.

„Live kann man ’n Haufen Scheiß machen, den man aufm Album nicht machen kann. Das macht’n Heidenspaß!“

indieberlin: Diesen Monat startet auch deine Tour. Am 26.2. bist du im Bi Nuu zu sehen. Was erwartet uns da? Bist du ganz strictly Hip Hop mitm Tour-DJ unterwegs?

Lemur: Nee, ich steh alleine auf der Bühne mitm Haufen Kram. Ich hab da meinen Rechner, Controller, ’n Sammelsurium kleiner Instrumente, ’ne Loop-Maschine, mit der ich dann z.B. ’ne Beatbox-Schleife aufnehmen und darüber rappen kann oder Sound-Collagen erstellen und komisches Theater spielen.
Wird ’ne lustige Reise, auf jeden Fall, weil ich live halt auch immer die Album-Version durchbreche und ganz schräge Baller-Remixe mache, also viel Jungle oder Techno mit einfließen lasse. Live kann man halt ’n Haufen Scheiß machen, den man aufm Album nicht machen kann. Das macht ’n Heidenspaß! Aber letztendlich steh ich komplett allein auf der Bühne.

indieberlin: Hast du denn Gäste dabei?

Lemur: Ja, ich hab Gäste dabei in Berlin. Marten McFly und FairS werden das Vorprogramm gestalten und ich hab ja auch mit den beiden Songs gemacht, die werden sicherlich auch gespielt.

indieberlin: Wir freuen uns drauf! Benny, ich dank dir sehr für’s Interview.

 

Interview: Bastian Geiken
Photos: Sara Reuter

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